family around the world

„Wer einmal nicht mit den Augen, sondern mit der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt es ein Heimwehland.“
Hermann Hesse (1877-1962)

Indien: Varanasi

von HEIKE am 02. JANUAR 2012

Dienstag, 08. November 2011

Der letzte Tag in Nepal beginnt früh, denn wir haben einen weiten Weg vor uns. Wir wollen heute von Lumbini bis nach Varanasi kommen. Das sind zwar nur ca. 300 Kilometer, aber mit einem Grenzübertritt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln planen wir einen ganzen Reisetag ein.

Grenzübergang bei SunauliDie 30 Kilometer lange Strecke von Lumbini bis zur indischen Grenze fahren wir mit einem Taxi, was in den frühen Morgenstunden ziemlich flott geht. Bereits gegen 07.00 Uhr sind wir im Grenzort Sunauli. Der Grenzübergang ist verschlafen, wir müssen die jeweilige Immigration für die Ausreise aus Nepal und die Einreise nach Indien suchen. An der nepalesischen Immigration laufen wir versehentlich vorbei und bemerken unseren Faux Pas erst, als wir den großen Torbogen mit der Aufschrift "Welcome to India" passieren, schnell nochmal zurück, den Ausreisestempel holen, es hat keiner bemerkt!

Die Einreiseformalitäten auf indischer Seite sind schnell erledigt. Mittlerweile sind wir schon richtige Profis, was Grenzübertritte betrifft, und auch die Kinder füllen ganz locker die englischen Formulare aus. Übung macht den Meister.

Auf der Suche nach einer Transportmöglichkeit in Richtung Varanasi entscheiden wir uns nach einigem Hin und Her, mit einem öffentlichen Bus ins rund 85 Kilometer entfernte Gorakhpur zu fahren, wofür wir knapp zwei Stunden benötigen. Der Unterschied zu Nepal ist im Straßenbild deutlich zu sehen. Die Straßen sind voller und in den Dörfern herrscht ein dichtes Gedränge.

Im Bus nach GorakhpurWir befinden uns im nordindischen Staat Uttar Pradesh, mit einer Bevölkerung von ca. 200 Millionen Menschen, dem bevölkerungsreichsten und am dichtetesten besiedelten Staat Indiens. Wäre Uttar Pradesh eine unabhängige Nation, dann wäre diese in Bezug auf die Bevölkerung, das fünftgrößte Land der Welt!

Der Bus endet am Bahnhof von Gorakhpur, einer typischen indischen Stadt, die immerhin 3,7 Millionen Einwohner hat. Wir sind etwas erschlagen von all den Eindrücken und am Bahnhof müssen wir erst einmal Erkundigungen einholen, wie wir weiterkommen, denn der Zug fährt erst spät am Nachmittag und in Gorakhpur bleiben wollen wir auf nicht, denn besonders einladend sieht es hier nicht aus. Andi erkundigt sich nach Bussen nach Varanasi und wird fündig.

Kurzerhand quetschen wir uns samt Gepäck in ein Tuk Tuk und düsen schnell zum Busbahnhof. Dort verlässt gerade ein Bus das Terminal und biegt auf die Hauptstrasse ein. Der Kassierer steht in der offenen Türe und ruft laut „Varanasi, Varanasi!“ Wir winken, der Bus hält kurz an und wir sind an Bord. Er ist nicht besonders voll und wir können die hinteren Bänke besetzen. Für die etwas mehr als 200 Kilometer benötigen wir fast acht Stunden. Der Bus hält ständig an, um Leute zu- oder aussteigen zu lassen. Am Ende der Fahrt sind wir ganz schön kaputt. Die Kids sind Dank ihren iPods ganz guter Stimmung.

Varanasi ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Welt, die heiligste hinduistische Stadt und sie ist dem Gott Shiva gewidmet. Varanasi ist auch bekannt unter dem Namen Benares, der unter der britischen und muslimischen Herrschaft verwendet wurde. Nach der Unabhängigkeit wurde in Rückbesinnung auf die klassische Hindutradition Varanasi zum offiziellen Namen gemacht.

Durch die Lage am steil aufragenden Ufer des Ganges auf der westlichen Flussseite ist die Stadt vor den alljährlich Auf dem Weg von Gorakhpur nach Varanasiauftretenden Hochwassern geschützt. Das sehr flache östliche Ufer, das regelmäßig überflutet wird, ist dagegen überhaupt nicht bebaut.

Varanasi wird auch „Stadt des Todes“ genannt, da die Menschen zum Sterben hierher kommen. Wer das große Glück hat, am Gangesufer zu sterben, dem gilt die Erlösung als sicher, denn nach der Verbrennung eines Toten und der Übergabe seiner Asche in den Ganges, ist der Kreislauf der Wiedergeburt unterbrochen.

Bei unserer Ankunft sehen wir das typische, äußerst lebendige, indische Chaos. Auch auf unserer Fahrt ins Hotel unterscheidet sich Varanasi nicht besonders von anderen Städten in Indien. Unser Tuk Tuk bewegt sich durch ein unglaubliches Gewimmel auf den Straßen. Es ist erstaunlich, dass niemand die Geduld verliert und wir auch noch keine Unfälle gesehen haben. Es wird zwar ständig gehupt, aber Aggressivität ist nicht zu spüren.

Unser Hotel befindet sich in der Altstadt. Hier ist es etwas ruhiger, da man sich in den engen verwinkelten Gassen hauptsächlich mit Rikschas fortbewegt und abends kein Autolärm zu hören ist, sondern lediglich das Muhen der zahlreichen heiligen Kühe, die Auf der Fahrt von Gorakhpur nach Varanasigemütlich über die Straße schlendern. Nachts ist es dann recht still und das unterscheidet Varanasi von allen anderen indischen Städten, die wir bislang kennengelernt haben, in denen eigentlich rund um die Uhr immer etwas los ist.

Unser Hotel liegt am Assi Ghat am südlichen Ende der Reihe von Ghats. Die reservierten Zimmer sind klein und entsprechen überhaupt nicht dem, was wir erwartet haben, aber nach den insgesamt 14 Stunden in indischen Bussen heute sind wir froh, dass wir endlich angekommen sind.

In einer Unterhaltung mit unserem Hotelmanager erfahren wir, warum es so schwierig war, überhaupt ein Zimmer in Varanasi zu reservieren. In den kommenden Tagen findet das jährliche Dev Deepavali Lichterfest statt, das nur in Varanasi gefeiert wird und zu dem mehrere Hunderttausend Besucher erwartet werden.

Wir freuen uns, dass wir unverhofft zu einem so besonderen Ereignis in der Stadt sind.

Mittwoch, 09. November 2011

Rasur am GhatFür unseren ersten Tag in der heiligen Stadt haben wir uns nach der langen gestrigen Reise nicht so viel vorgenommen. Wir werden zudem fast eine Woche hier bleiben und können uns deshalb etwas Zeit lassen.

Neben dem Kennenlernen der Stadt wollen wir hier mit den Kindern Mathe-Unterricht machen und an unserer Homepage arbeiten. Dafür finden wir ein nettes Restaurant direkt am Assi Ghat, an dem wir unsere Schreibzentrale einrichten. Es liegt oberhalb des Ganges mit einem schönen Blick auf das bunte Treiben. Hier sitzen wir einige Stunden, arbeiten und lesen.

Erst am späten Nachmittag lassen wir uns zum Dashashwamedh Ghat, dem "Haupt-Ghat" in Varanasi in der Mitte der Altstadt fahren. Das letzte Stück zum Ghat ist nur zu Fuß zu erreichen. Wir gehen etwa zwei Kilometer eine breite Straße entlang, die gesäumt ist von zahlreichen Sari- und Schmuckgeschäften sowie Straßenhändlern, die alle möglichen religiösen Gegenstände und Souvenirs anbieten.

Kurz vor dem Ghat nimmt die Zahl der Bettler zu, die uns die Hand entgegenstrecken und um ein paar Rupien oder eine Hand voll Reis bitten. An den Stufen, die zum Ganges führen, ist der Trubel dann am Größten. Viele Bootsleute sind hier auf Kundenfang für eine abendliche Bootstour. Hier treffen wir auch einen sehr netten Bootsführer mit dem wir spontan eine Sonnenuntergangstour auf dem Ganges vereinbaren.

Totenverbrennung am Manikarnika Ghat in VaranasiDie zweistündige Fahrt entlang der Ghats ist wunderschön. Auf dem Boot lässt sich die Stimmung dieses Ortes besonders gut genießen. Vom Fluss aus sehen die Ghats und die zahlreichen Pilgerpaläste in der roten Abendsonne sehr romantisch aus. Der Dreck, die Armut, und das allgemeine Chaos sind vom Wasser aus nicht zu erkennen. Die Fahrt führt auch an den beiden Ghats zur Totenverbrennung vorbei, wo täglich rund um die Uhr etwa 200 Leichen verbrannt werden. Ich bin froh, dass wir nicht allzu dicht an den zahlreichen Feuern vorbei fahren, da ich mich immer als Eindringling fühle, wenn wir diesen Beerdigungszeremonien zu nahe kommen.

Außerdem beobachte ich den Fluss genau, denn ich habe gelesen, dass die Toten nicht immer vollständig verbrannt werden und es vorkommt, dass Leichenstücke im Wasser schwimmen. Dieser Anblick bleibt uns erspart, ich bin sehr froh! Unser Bootsführer erklärt uns, dass wir für unser Glück unbedingt ein wenig Gangeswasser über unsere Köpfe schütten sollten. Obwohl der Anteil der Kolibakterien im Fluss unsere deutschen Grenzwerte um das etwa 3.000-fache übersteigt, wollen auch wir Abends auf dem Gangesauf die Segnungen von Ganga, wie der Fluss hier genannt wird, nicht verzichten und lassen zwei Hände voll Wasser über unsere Köpfe fließen, man weiß ja nie.

Nach der abendlichen Bootsfahrt verabreden wir uns mit unserem Bootsführer für den nächsten Morgen, an dem wegen des Dev Deepavali Festes Hunderttausende Pilger erwartet werden, die am frühen Morgen ein rituelles Bad im heiligen Ganges nehmen.

Nach hinduistischer Vorstellung gilt es als besonders verdienstvoll, wenigstens einmal im Leben diese heilige Stadt zu besuchen und sich durch ein Bad im Fluss Ganges von den Sünden reinzuwaschen. Dieses Ereignis wollen wir uns nicht entgehen lassen und verabreden uns für 06.00 Uhr am nächsten Morgen.

Donnerstag, 10. November 2011

Bettler am Dashashwamedh GhatAls wir zur vereinbarten Zeit wieder zum Dashashwamedh Ghat kommen, sind wir erstaunt über die Menschenmassen auf den Straßen und an den Stufen. Die Zahl der Bettler hat ein für uns bislang ungekanntes Ausmaß angenommen und zahlreiche Hände strecken sich uns entgegen.

Überall sind Badende, die hingebungsvoll ins Wasser tauchen. Die betenden Gläubigen, brahmanische Priester, die für eine Spende ihren Segen erteilen und im Wasser tobende Kinder, die dichtgedrängt am Ufer stehen, bieten völlig surreale Bilder. Wir sind ganz gefangen von dieser besonderen Stimmung.

Obwohl das Wasser eine ziemliche Dreckbrühe ist und ein großer Teil der Badenden meinem Gefühl nach sofort tot in den Ganges fallen müsste, tauchen alle, nachdem sie sich ordentlich zum Teil mit Seife und Shampoo gewaschen haben, putzmunter wieder auf. Können die weltlichen Verschmutzungen dem heiligen Ganga vielleicht nichts anhaben? Die gläubigen Menschenmassen am Dashashwamedh GhatHindus sind jedenfalls davon überzeugt.

Den restlichen Teil des Tages entspannen wir in unserem Lieblingslokal am Assi-Ghat, denn am Abend wollen wir uns das große Lichterfest wieder vom Boot aus ansehen. Es werden bis zu einer Millionen Menschen erwartet.

Um 17.30 Uhr holt uns unser Bootsführer zu unserer dritten gemeinsamen Tour direkt am Hotel ab, da wir ihn im dichten Gedränge am Fluss nur schwer finden würden.

Die abendliche Bootsfahrt führt uns vom Assi Ghat zu den Hauptghats. Die Fahrt ist phantastisch, alle Ghats sind mit kleinen Öllämpchen beleuchtet. Die Gebäude entlang des Ganges erstrahlen im Licht und immer wieder erhellen Feuerwerkskörper den dunklen Himmel. Auf dem Fluss wimmelt es von Booten, von denen aus kleine Lichter ins Wasser gesetzt werden, so dass tausende von Kerzen flussabwärts schwimmen.

Dev Deepavali - das LichterfestAn den Ghats finden viele Festivitäten statt. Es sind zahlreiche Bühnen aufgebaut, auf denen berühmte indische Künstler auftreten.

Nach der Bootstour wollen wir weiter Richtung Hauptghats gehen, wo die meisten Besucher sich drängen, was jedoch nicht möglich ist, es ist einfach zu voll.

Mir fällt immer wieder auf, wie unterschiedlich sich die Menschen hier im Gegensatz zu uns in Deutschland verhalten. Es gibt  keinerlei aggressives Verhalten und auch kein Drücken und Schieben in diesen Menschenmassen.

Es wird auch kein Alkohol konsumiert. In Varanasi gibt es in vielen Restaurants generell keinen Alkohol und ausschließlich vegetarisches Essen, was in Indien auch Andi nicht stört, da es hier phantastische, überaus leckere fleischlose Gerichte gibt.

Zurück laufen wir von einem Ghat zum Anderen am Fluss entlang und bekommen so zum Abschluss des Festes nochmals einen recht schönen, hautnahen Eindruck!

Freitag, 11. November 2011 und Samstag, 12. November 2011

Nina und Nicolas beim Mathe Check-UpDie nächsten beiden Tage in Varanasi machen wir vormittags Unterricht mit den Kindern und am Nachmittag Ausflüge.

So besuchen wir den Affentempel, welcher der Göttin Durga geweiht ist, an dem wir aber keine Affen sehen.

Das Ramnagar Fort, der Palast des Maharajas von Varanasi, ist total heruntergekommen. Die Ausstellungsstücke des angeschlossenen Museums sind verstaubt und liegen recht lieblos verteilt im Museum herum. Diesen Ausflug hätten wir uns sparen können.

Interessant finde ich aber die Fahrt  zum Fort, die uns durch die äußeren Stadtbezirke Varanasis führt, in denen es kaum ein intaktes Gebäude gibt, die Straßen komplett verstopft sind und die Armut deutlich sichtbar ist.

Sonntag, 13. November 2011

SarnathHeute besuchen wir den Ort Sarnath, etwa zehn Kilometer von Varanasi entfernt.

Sarnath gehört zu den vier wichtigsten buddhistischen Städten und gilt als der Geburtsort des Buddhismus, denn hier hat Siddhartha Gautama (=Buddha) nur fünf Wochen nach seiner Erleuchtung in Bodh Gaya, das rund 200 Kilometer östlich von Varanasi liegt, im Jahr 530 BC seine erste Rede gehalten und damit mit der Lehre des Buddhismus begonnen.

Zur Kennzeichnung dieses wichtigen Ortes und zum Gedenken daran hat König Ashoka etwa 300 Jahre später eine Säule und eine Stupa in Sarnath errichtet, die man besichtigen kann.

Wir verbringen einige Stunden in der parkähnlichen Anlage und genießen die Ruhe, bevor es wieder zurück ins turbulente Varanasi geht.

 

 


Montag, 14. November 2011

Unseren letzten Tag in Varanasi verbringen wir mit Einkäufen und mit der Organisation zahlreicher Kleinigkeiten. 

Auf dem Bahnhof von VaranasiIch finde es schade, dass die Zeit in Varanasi schon vorbei ist. Andi und die Kinder sind allerdings froh, dass wir diese chaotische und äußerst dreckige Stadt wieder verlassen. Für mich ist Varanasi einer der interessantesten und verrücktesten Orte, die ich gesehen habe. Es ist eine Stadt der Kontraste: Leben und Tod, Chaos und Ordnung, Schönheit und Elend. Die leuchtenden Farben, die starken Gerüche und das Läuten der Gebetsglocken machen aus dieser Stadt für mich eine besondere Erfahrung, die ich nicht vergessen werde.

Um 15.00 Uhr fahren wir zum Bahnhof, und nehmen den Nachtzug nach Agra. Unser Ziel ist Bharatpur, eine kleine Stadt ganz im Osten der Provinz Rajasthan, in der sich der insbesondere unter Ornithologen bekannte Keoladeo Nationalpark befindet.

Am Bahnhof herrscht das übliche indische Durcheinander. Wenigstens sind im Gegensatz zu China die Hinweisschilder immer in Hindi und in Englisch, was die Orientierung sehr viel einfacher macht. Wir sind überpünktlich auf dem Bahnsteig, wo wir noch ein Auf dem Bahnhof von Varanasiwenig Zeit haben, das Geschehen zu beobachten, besonders die Kühe, die im ganzen Bahnhof und auch auf den Gleisen wie selbstverständlich herumlaufen - vielleicht auch ein Grund warum die indischen Züge häufig so unpünktlich sind.

Unser Zug fährt dagegen pünktlich ab. Beim Beziehen unseres Schlafabteils haben wir eine kurze Diskussion mit dem Schaffner, weil das Online-Buchungssystem uns keine zusammenliegenden Betten zugeteilt hat und wir etwas im Zug verstreut sind. Zur Lösung dieses Problems fordert er von uns ganz unverblümt „Bakschisch“, danach haben wir ganz flott ein Viererabteil für uns.

Im Zug gibt es, wie erwartet, kein Essen, weshalb wir uns etwas Leckeres aus unserem Lieblingsrestaurant inklusive Schlummertrunk für Andi mitgenommen haben. Ansonsten ist es ganz bequem im Zug, eigentlich viel besser als ich dachte.

Mitten in der Nacht werden wir noch einmal geweckt, als die Passagiere einsteigen, in deren Betten wir liegen und wir erklären müssen, dass wir die Abteile getauscht haben. Eine Frau will unbedingt das Bett, das sie gebucht hat. Ich verstehe das zunächst nicht, bis ich sehe, dass sie etwas fülliger ist und sich deshalb weigert, auf das obere Stockbett zu klettern.

Erst als „unser“ Schaffner hinzukommt, wird es ruhig und das Problem gelöst.