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Tibet: Lhasa - eine mystische Stadt?

von HEIKE am 26. OKTOBER 2011

In den folgenden sechs Tagen erkunden wir Lhasa und die Umgebung um Lhasa. Wir besuchen in dieser Zeit vier Klöster, zehn sind es insgesamt, die wir in Tibet ansehen.

Aufgrund der zahlreichen Gemeinsamkeiten, die sich in allen Klöstern wiederfinden, haben wir unsere Kloster-Erfahrungen sowie die Beschreibung der einzelnen Klöster im Exkurs Tibetische Klöster zusammengefasst und auf detaillierte Beschreibungen in den Reiseberichten verzichtet.

Darüber hinaus haben Nicolas und Nina ihre Erfahrungen in Tibet in den Exkursen Tibet aus Sicht von Nicolas und Tibet aus Sicht von Nina niedergeschrieben.

Samstag, 01. Oktober 2011

Potala PalaceLhasa war für mich lange Zeit die geheimnisvolle, mystische und unbekannte Stadt auf dem "Dach der Welt", versteckt und fast unerreichbar hinter den höchsten Bergen der Welt. Bei unserer Ankunft stelle ich allerdings fest, dass Lhasa eine moderne chinesische Stadt ist. So jedenfalls unser erster Eindruck.

Nach 44 Stunden im Zug werden wir von unsem Guide Sonam und unsem Fahrer Tensin am Bahnhof abgeholt. Das Dakeng Hotel ist sehr schön und wir sind froh darüber, denn wir wollen sechs Nächte hier bleiben. Von der Dachterrasse haben wir einen wunderbaren Blick auf den Potala Palast.

Den Abend verbringen wir im Hotel, denn die Höhe von 3.600 Metern macht uns doch ein wenig zu schaffen und bereits nach dem Treppensteigen müssen wir ganz schön schnaufen.

Sonntag, 02. Oktober 2011

Seit 2008 sind die Reisebedingungen in Tibet stark reglementiert. Es ist seitdem nicht mehr möglich, individuell Tibet zu bereisen. Ein Guide ist vorgeschrieben und auch ein Fahrer ist zwingend erforderlich, denn Nicht-Chinesen dürfen auch keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzten.

Kloster GandenAls erstes steht das Kloster Ganden auf dem Programm. Bei strahlendem Sonnenschein geht es um 09.30 Uhr los. Ganden liegt 50 Kilometer östlich von Lhasa auf über 4.000 Metern Höhe. Wir fahren durch trockene Landschaften entlang des Brahmaputra Flusses und dann geht es steil den Berg hinauf zum Kloster.

Von dort haben wir einen tollen Blick auf das breite Tal in dem Lhasa liegt. Nach der Besichtigung des riesigen Komplexes starten wir noch zu einer Umrundung des Klosters. Durch die Höhe schleiche ich förmlich den Höhenweg entlang und muss immer mal wieder Pause machen. Den Kids und Andi scheint die Höhe nichts auszumachen. Auf der Rückseite des Klosters passieren wir einen Platz, auf dem Sky Burials durchgeführt werden, ich verzichte auf eine Besichtigung.

Die Umrundung des Klosters erfolgt, genauso wie jeder Gang um eine Stupa oder durch einen Tempel, im Uhrzeigersinn. Als wir das einmal vergessen und die Gegenrichtung wählen, werden wir sehr nett darauf hingewiesen und sanft in die richtige Richtung geschoben.

Montag, 03. Oktober 2011

Am Folgetag unternehmen wir Abstecher zu den buddhistischen Klöstern Drepung und Sera, die beide nur wenige Kilometer von Lhasa entfernt liegen.

Kloster DrepungIm Kloster Drepung sind gerade umfangreiche Restaurierungen im Gange. Der Klosterkomplex ist ziemlich groß mit vielen schönen Gebäuden, aber nicht alle sind nach den Zerstörungen der Kulturrevolution wieder aufgebaut worden. Früher lebten im Kloster Deprung über 7.000 Mönche. Heutzutage ist das Kloster staatlich organisiert und die Anzahl der Mönche auf 400 begrenzt. Alle Spendeneinnahmen müssen an die Regierung abgeführt werden. Dafür bekommen die Mönche ein kleines Gehalt vom Staat und stehen somit unter staatlicher Aufsicht.

Nach einer Mittagspause geht des dann zum Kloster Sera. Die Kids „streiken“! Sie finden ein tibetisches Kloster am Tag ist vollkommen ausreichend. Ich kann sie gut verstehen und fahre mit Andi und unserem Guide alleine zum Kloster. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass dies einer der interessantesten Klosterbesuche sein wird.

Im Kloster Sera strömen die Besucher gezielt in einen der Klosterhöfe, wo Mönche sich zur Debatierstunde versammeln, um sich in der hohen Kunst des Debattierens zu üben. Das sieht sehr speziell aus: ein Mönch steht und wenn er die Lösung einer Frage zu wissen glaubt, klatscht er laut in die Hände, oftmals direkt vor der Nase eines sitzenden Mönchs, der daraufhin meist lacht, den Kopf schüttelt und mit ihm weiter diskutiert. An sich ein schönes Bild, allerdings wird es stellenweise bizarr, wenn einige Debattiergruppen insbesondere von den asiatischen Touristen regelrecht belagert werden, um mit ihren Kameras möglichst nah am Geschehen zu sein.

Kloster SeraKloster Sera

Leider kann unser Guide aufgrund seiner kaum vorhandenen Englischkenntnisse den Sinn dieses sehr interessanten Ereignisses kaum erklären. Andi ruft deshalb abends die Reiseagentur an und bittet um einen anderen Guide, der besser Englisch spricht, denn immerhin müssen wir mit Guide und Fahrer noch zehn weitere Tage durch Tibet bis zur Grenze nach Nepal fahren. Die Agentur verspricht uns, dass wir übermorgen einen Guide mit besseren Englischkenntnissen bekommen.

Dienstag, 04. Oktober 2011

Propaganda im Tibetischen MuseumAn unserem dritten Tag in Lhasa ist eine Mountainbike-Tour durch die Stadt geplant. Leider klappt die Anmietung der Fahrräder nicht, weil die geforderte Kaution unser Barvermögen signifikant übersteigt, wir ärgern uns über die schlechte Organisation von Sonam. Da wir keine Räder haben, rufen wir Tensin, unseren Fahrer, an, der uns zum Tibetischen Museum bringt. Das Museum ist nur im Erdgeschoss interessant, wo tibetische Entwicklung und Kunst gezeigt werden. Im gesamten ersten Stock wird vor allem chinesische Propaganda gezeigt. Interessanter Weise gibt es hier auch keine Beschriftung mehr in englischer Sprache, hier ist wirklich Alles chinesisch!

Den Nachmittag verbringen wir in Barkhor, der Altstadt von Lhasa. Dort ist noch das alte Lhasa zu finden mit kleinen Geschäften in engen Gassen. In der Mitte befindet sich der Jokhang Tempel, der am Marktplatz von Barkhor liegt.

Pilger vor dem Jokhang TempelDer Eingangsbereich des Tempels ist übersät mit Pilgern. Vor dem Tempel sehen wir ein ganz besonderes Bild von Religiosität, denn dort werfen sich die Menschen auf den Boden. Die gefalteten Hände werden zunächst in die Höhe gehalten, dann auf Stirn und Brust gesenkt. Danach fallen die Menschen auf die Knie und rutschen anschließend mit den Händen nach vorne am Boden entlang, bis die Stirn den Boden berührt. Das wiederholen sie oft stundenlang. Einige haben sogar einen Zähler dabei. Beeindruckt hat uns, dass alle Altersgruppen beteiligt sind. Für die Tibeter ist der Jokhang Tempel der wichtigste Tempel, zu dem man als Tibeter zumindest ein Mal in seinem Leben gepilgert sein muss.

Auf dem riesigen Marktplatz davor kommt man ins Staunen. Von großen Gewürzständen über Obst, Fleisch und Souvenirs ist alles zu haben. Wir sehen Klangschalen, Gebetsmühlen, Gebetsfahnen, Gebetsschals, Mönchsbekleidung und beobachten die Pilger beim Handeln. Der Silberschmuck mit den Halbedelsteinen findet sich nicht nur an den Verkaufstheken. Die Pilger, Frauen und Männer, haben auch ihr Haar damit geschmückt oder tragen ihn in prachtvollen Ketten um den Hals.

Militär-PatrouilleGenauso zum Straßenbild in Lhasa gehören schwer bewaffnete chinesische Soldaten, die insbesondere in Barkhor allgegenwärtig sind. Zahlreiche Patrouillen und Posten an Strassenkreuzungen und auf Dächern behalten das Gewimmel in der Altstadt immer im Auge. In jeder Patrouille führt einer der Soldaten einen Feuerlöscher mit sich. In diesem Jahr haben sich bereits zwölf buddhistische Mönche in China selbst verbrannt, um auf die katastrophale Lage der Klöster in Tibet aufmerksam zu machen. Der Südkurier hat zur Situation in Tibet am 25. Oktober 2011 ein Interview mit einem Exiltibeter veröffentlicht, das die Situation sehr anschaulich beschreibt und gute Hintergrundinformationen zum Thema gibt.

Auf der Dachterrasse eines Cafés schauen wir beim Kaffee trinken genau in den Mündungslauf eines Scharfschützen, der auf einem gegenüberliegenden Dach postiert ist. Traurig aber wahr – auch das ist Normalität in Lhasa...

Mittwoch, 05. Oktober 2011

Am Vorabend haben wir uns von unserem Guide Sonam verabschiedet. Er war unglaublich bemüht um uns, aber wir haben ihn ganz einfach nicht verstanden und er uns auch nicht. Gleichzeitig lernen wir unseren neuen Guide Tashi kennen. Mit ihm besuchen wir heute die Klosterhöhlen von Drak Yerpa etwas außerhalb von Lhasa. Tashi spricht ausgezeichnetes Englisch und hat zwölf Blick von Drak YerpaJahre Erfahrung als Guide in Tibet gesammelt. Darüber hinaus ist er Tibeter und kennt damit die tibetische Kultur weitaus besser, als chinesische Guides, vor denen in mehreren Reiseführern abgeraten wird. Darüber hinaus kann tibetische Kultur und Geschichte aus chinesischer und tibetischer Perspektive sehr unterschiedlich interpretiert werden.

Tashi ist für uns in den folgenden zehn Tagen ein großer Gewinn. Mit seiner Erfahrung arbeitet er nicht mehr fest für eine Agentur sondern ist Freelancer, wir grinsen, die Agentur hatte wohl keine eigenen englischsprachigen Guides mehr, vielleicht war es ja Glück, dass wir einen etwas schwierigen Start mit unserem Guide hatten. Nach eigenen Angaben hat er genau drei Jahre lang eine Schule besucht. Englisch hat er auf einer Privatschule gelernt und in einer dreijährigen Beziehung mit einer Amerikanerin, die Tibetisch in Lhasa studiert hat. Als er uns von dieser Beziehung erzählt lacht er. Die Amerikanerin hat ihn offensichtlich ganz schön zum Englisch lernen angehalten, es ist unser Gewinn!

Unser Ausflug zum Kloster Drak Yerpa nimmt nur einen halben Tag in Anspruch, so dass wir noch genug Zeit haben ein weiteres Mal die wunderbare Altstadt von Lhasa zu erkunden.

Donnerstag, 06. Oktober 2011

An unserm letzten Tag in Lhasa besichtigen wir die beiden Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt: den Jokhang Tempel und den Potala Palast.

Der Jokhang Tempel oder “Haus des Herrn” ist der heiligste Ort in ganz Tibet und die ultimative Pilgerstätte für tibetische Buddhisten.

Jokhang TempleFür uns Touristen geht es durch den Seiteneingang hinein in den Tempel, an einer nicht enden wollenden Schlange von Pilgern vorbei. Eigentlich hätten wir uns lieber bei den Pilgern eingereiht, aber diese schieben sich in einer Schlange immer an der Wand entlang im Uhrzeigersinn durch jeden Raum des Tempels, dafür reicht unsere Zeit nicht und so folgen wir unserem Guide.

Vor dem Haupteingang des Jokhang steht ein goldenes, achtspeichiges Dharma-Rad, das von zwei Hirschen flankiert wird. Die Speichen des Rades stehen für den „Achtfachen Pfad“ zur Erleuchtung. Die Rehe sollen daran erinnern, dass Buddha seine erste Predigt in einem Wildgehege hielt.

Schnell nimmt uns die Atmosphäre der Tempelhallen gefangen. Weihrauchduft mischt sich mit dem Geruch der Butterlampen, die in den Nischen flackern. Draußen, auf dem Dach des Tempels, haben wir einen spektakulären Ausblick auf den Barkhor Platz, die Pilger, die den Jokhang Tempel umrunden und über die Dächer von Lhasa in Richtung auf den Potala Palast.

Jokhang TempleDer Potala Palast wurde schon im 7. Jahrhundert in einen Hügel "hineingebaut" und wächst quasi aus dem Felsen heraus, um sich über die Stadt zu erheben. Auf 13 Stockwerken verteilen sich 999 Räume. Die chinesische Kulturrevolution überstand der Potala-Palast vergleichsweise unversehrt, da der Palast als Unterkunft der chinesischen Besatzungsarmee herhalten musste. Er wird heute als Museum genutzt, zählt aber neben dem Jokhang Tempel weiterhin zu den wichtigsten Pilgerstätten der tibetischen Buddhisten.

Gegenüber dem Potala Palast wurde ein Monument zum 50. Jahrestag der Befreiung Tibets errichtet. Daneben sind chinesische Regierungs- und Verwaltungsgebäude gebaut, um politischen Machtanspruch über Weltkulturerbe zu stellen.

Für den Potala Palast haben wir Tickets um 13.20 Uhr. Der Besuch dauert ganz exakt eine Stunde, danach muss man den Palast verlassen haben. Die Eintrittszeit wird an einem Kontrollpunkt auf die Tickets gestempelt, danach läuft die Stunde. Hier wird erstmals Tashis Erfahrung offensichtlich, denn er brieft uns vor dem Kontrollpunkt und gibt uns etwa fünf Minuten „Vorsprung“, bevor er die Tickets stempeln lässt und uns einholt.

Potala PalaceDanach jagt Tashi uns förmlich durch den riesigen Palast. Im Eiltempo erklärt er uns die wichtigsten Räume. Es geht durch lange, dunkle Gänge in der typisch rost-roten Farbe, hinauf über steile Treppen, vorbei an Buddha-Statuen, Räucherstäbchen, Bildern, Wandteppichen, Opferkerzen aus Yakbutter, Gebetsmühlen und zahlreichen Wandbehängen. Alles ist ziemlich dunkel, aber wir spüren die ganz besondere Stimmung, die dieser Palast ausstrahlt.

Dann erkennen wir am Flüsterton von Tashi, dass wir am heiligsten Ort des tibetischen Buddhismus angelangt sind, den privaten Räumen des Dalai Lama, auch des aktuellen 14. Dalai Lama bis zu seiner Flucht nach Indien 1959.

Es befinden sich mehrere Grabmäler vorangegangener Dalai Lamas im Potala, die prunkvoll verziert sind. Die unterschiedlichen Grabstätten bestehen allesamt aus juwelenbestückten und vergoldeten tibetischen Stupas, deren einzelne Stufen fantastisch verziert sind.

Die Zeit rast dahin und Tashi spricht immer schneller, aber nach genau einer Stunde sind wir wieder draußen. Das ist deutlich zu wenig Zeit und sogar die Kids meinen: “das war viel zu kurz”.

PilgerPilgerPilger

So haben wir am Nachmittag noch etwas Zeit, ein paar Einkäufe zu erledigen. Außerdem möchte ich mir einen echten tibetischen "Cowboy-Hut" kaufen. Nach zähen Verhandlungen erzielt Andi einen akzeptablen Preis und ich bin stolze Besitzerin eines solchen Stückes.

Am Ende bleibt die Frage: ist Lhasa eine mystische Stadt? Für mich gehört sie auf jeden Fall zu den magischsten Orten der Welt!

Zwar wird das religiöse, traditionelle Leben der Tibeter immer mehr zurückgedrängt, aber im Zentrum von Lhasa ist die ursprüngliche Kultur noch sehr lebendig und spürbar. Dies und das unvergleichlich klare Licht auf der Höhe von 3.600 Metern, sorgen dafür, dass Lhasa eine enorme Anziehungskraft auf mich ausübt!