family around the world

China: Mit dem Tibet-Express auf das "Dach der Welt"

von HEIKE & ANDREAS am 24. OKTOBER 2011

Donnerstag, 29. September 2011 bis Samstag, 01. Oktober 2011

Die Qinghai-Tibet-Bahn, wie der Tibet-Express richtig heißt, ist die höchstgelegene Zugstrecke der Welt, und führt von Chengdu (Sichuan Province) über Golmud (Qinghai Province) nach Lhasa (Tibetan Autonomous Region).Soft-Sleeper-Abteil

Die Strecke geht über rund 5.000 Meter hohe Pässe und erreicht in Tanggula den höchstgelegenen Bahnhof der Welt. Sie gilt technisch als Meisterleistung der Ingenieurskunst. So sind die Gleise auf einem speziellen Unterbau verlegt, der dafür sorgt, dass der Dauerfrost des Bodens erhalten bleibt. Ansonsten würde der Permafrostboden im Sommer kurzzeitig antauen und der Untergrund die erforderliche Festigkeit verlieren. Die Waggons werden mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt und den Passagieren stehen für den Notfall Sauerstoffmasken wie im Flugzeug zur Verfügung.

Nach dem letzten Abendessen in Sim´s Cozy Garden Hostel starten wir mit dem Taxi etwas verspätet zum Bahnhof von Chengdu. Dort erwarteten uns Menschenmassen. Die Woche um den ersten Oktober ist in China National Day Week, eine von zwei „Golden Weeks“ des Jahres und Alles ist auf den Beinen. Trotzdem kommen wir ohne größeres Gedränge zu unserem Zug nach Lhasa, der schon bereit steht.

Der Zugfahrt geht ein kleines Abenteuer bei der Ticketbeschaffung voraus. Offensichtlich ist es auch für Reisebüros ausgesprochen schwierig, Fahrkarten der bequemsten Kategorie, dem Soft-Sleeper zu bekommen. Zugfahrkarten werden erst zehn Tage vor Fahrtbeginn in den Verkauf gegeben und dann überwiegend von professionellen Händlern aufgekauft, die ganze Kontingente erwerben und diese dann mit einem satten Aufschlag von 30% bis 50% weiterverkaufen. Andi hat bei der Buchung unserer Reise die hohe Wichtigkeit für uns mehrfach betont für die lange Zugfahrt Soft-Sleeper-Tickets zu bekommen. Da wir einen überproportionalen Preisabschlag bei Nichterfüllung vereinbart haben, hat das Reisebüro offensichtlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um diesen Wunsch zu erfüllen. Als uns heute Mittag die Tickets ins Hostel gebracht werden, wird uns klar, dass vielleicht doch nicht alles glatt gelaufen ist. Wir erhalten nämlich jeweils zwei Tickets: Stehplatztickets für die ersten viereinhalb Stunden (Chengdu–GuangYuan) in Waggon acht und erst danach die erwünschten Soft-Sleeper-Tickets (GuangYuan-Lhasa) in Waggon fünf für den Rest der Reise. Andi erhält dazu die Anweisung den Zug mit den erstgenannten Tickets zu betreten und in Waggon acht zu warten, bis der Zug losgefahren ist. Danach sollen wir direkt in Waggon fünf gehen, unser Soft-Sleeper-Abteil sei leer und wir könnten es direkt beziehen – everything fine, no problem!

Um 20.59 Uhr fährt der Zug pünktlich los. 44 Stunden Zugfahrt liegen vor uns. Ich bin gespannt wie wir das durchstehen. Solange habe ich noch nie in einem Zug gesessen. Wir setzen uns dann erst mal in den Speisewagen. Andi marschiert los und schaut was in unserem Schlafabteil los ist. Er kommt zurück und berichtet, dass es leer ist. Also schleppen wir unser Gepäck dorthin und machen es uns gemütlich. Ich bin total überrascht. Es ist ein Abteil mit vier sauberen Betten. Richtig gemütlich! Vielleicht wird die Fahrt doch noch ganz nett. Nach einiger Zeit kommt allerdings eine streng blickende Schaffnerin, die uns erklärt unser Ticket gelte erst ab GuangYuan im Soft-Sleeper und wir müssten den Differenzbetrag bezahlen, was wir dann auch machen. Da Andi die Bezahlung von 50% des Reisepreises erst bei Ankunft in Lhasa vereinbart hat ist das kein Problem, wir ziehen den Betrag einfach ab. Wir wissen aber bis heute nicht, wer sich hier auf unsere Kosten versucht hat ein paar Yuan dazuzuverdienen...

Dann machen wir es uns gemütlich. Wir sind froh in unserem Soft-Sleeper-Abteil zu liegen, was bedeutet, dass wir ein ganzes Abteil für uns haben. Wir schlafen alle sehr gut, die Gemeinschaftswaschanlagen und die total verdreckten Zugtoiletten sind allerdings gewöhnungsbedürftig.

Als wir am nächsten Morgen aufwachen können wir chinesisches Frühstück, bestehend aus Nudelsuppen oder Reis im Speisewagen kaufen. Ansonsten ist das Angebot des Speisewagens dürftig – Tee muss sich jeder Fahrgast selbst zubereiten, und das Zugpersonal ist ziemlich ruppig.

Sonnenuntergang über dem Qinghai-LakeSonnenuntergang über dem Qinghai-Lake

Die Fahrzeiten des Tibet-Express sind so gewählt, dass man besonders schöne Streckenabschnitte zur idealen Tageszeit passiert. So erleben wir z.B. den spektakulären Sonnenuntergang des ersten Reisetages am Qinghai-Lake. Die Landschaft ist grandios und die Weite überwältigend. Wir schauen stundenlang aus dem Fenster. Ich sitze trotz des Personals meistens im Speisewagen, zusammen mit kettenrauchenden Chinesen und kann mich nicht sattsehen an der kargen klaren Berglandschaft. Vereinzelt ist auch saftig grünes Grasland in den Ebenen zu sehen, die ersten zotteligen Yaks tauchen auf und mit ihnen die Nomaden.

In einiger Entfernung sind schneebedeckte Sechs- und Siebentausender zu sehen. Im gemächlichen Tempo ziehen die Lokomotiven die fast 1.000 Fahrgäste auf den höchsten Punkt dieser Reise, den Tanggula-Pass, auf 5.073 Metern, den wir nach der zweiten Nacht erreichen. Danach geht es immer weiter hinunter Richtung Lhasa. Die ersten Ansiedlungen tauchen auf und dann sehen wir das Wahrzeichen Lhasas den Potala Palace.


Die Ankunft auf dem Bahnhof in Lhasa zeigt deutlich, was das Mutterland China mit Tibet vorhat. Mit aller Macht soll der rückständige Landesteil an das Fortschrittsstreben von Peking angepasst werden. Das fast menschenleere Gebäude ist von sprödem, sachlichem Charme. Seine Dimensionen sind offenbar auf gewaltige Transportmengen nach Tibet vorbereitet – auch von Rüstungsgütern und Militärs, wie Menschenrechtsorganisationen befürchten.

Vor dem Bahnhof werden wir von Sonam abgeholt, der sich als unser Guide vorstellt und uns zur Begrüßung die typischen weißen Schals um den Hals legt, die wir später in so viele Klöstern und Tempeln wiederfinden werden - welcome to Tibet!